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Johann Holzner Andreas Hofer im Spiegel der Literatur
Die Masse der volkstümlichen Balladen, der Rollengedichte, der Romane und
Erzählungen über Andreas Hofer ist kaum überschaubar;
darüberhinaus gibt es noch mindestens 80 Hofer-Dramen l. Die Zahlen sind
jedenfalls beeindruckend, die Texte sind es im großen und ganzen nicht.
In Lyrik-Anthologien, sofern sie auf patriotische Kriterien zugunsten
ästhetischer verzichten, sucht man Hofer-Gedichte vergeblich. Die
einschlägigen Erzählungen und Romane verdienen, von bemerkenswerten
Ausnahmen (wie Johann Peter Hebels Hofer-Kalendergeschichte) einmal abgesehen,
bestenfalls die Aufmerksamkeit der Trivialliteratur-Forschung. Die Hofer-Opern,
unter anderen auch eine Komposition von Albert Lortzing, werden sowohl von
Opernführern wie auch von Opernbühnen ignoriert. Und nur die
Hofer-Dramen werden von Zeit zu Zeit, genauer: alle 25 Jahre, wieder ausgegraben,
wenn es gilt, in Tirol die Erinnerung an das Jahr 1809 aufs neue
wachzurütteln.
Gegen die Überfülle der Hofer-Literatur spricht nicht zuletzt der
Umstand, daß dieses Thema auch von der Literaturwissenschaft in der Regel
nur dann wahrgenommen wird, wenn ein Jubiläum zu feiern ist. "Die
politische Lyrik des Kriegsjahres: Achtzehnhundertneun" wird 1909 edierte
Mit etwas Verspätung folgen Anton Dörrers Buch "Andreas Hofer auf
der Bühne" 3 und eine Arbeit von Wilhelm Kosch, "Andreas Hofer im
Leben und in der Dichtung" 4. 1934 schreibt Eduard Castle eine Untersuchung
über Tiroler Hofer-Stücke 5. 1984 schließlich publizieren gleich
mehrere Tiroler Kulturzeitschriften Andreas Hofer-Sondernummern 6. Josef
Feichtinger stellt eine umfangreiche Chrestomathie zusammen 7. Und auch dieser
Vortrag wäre gewiß nicht vorbereitet worden, wenn es keinen
feierlichen Anlaß gegeben hätte.
Es ist zu fragen, zu welchem Ende das Studium von Werken führen soll, die
beinahe nur mehr rezipiert werden, wo Literatur der Verschönerung von
Feierstunden dient. Eine Antwort kann vorweg gegeben werden: In dieser
Hofer-Literatur werden häufig Mythen konstruiert, die noch immer nicht
überwunden sind, die vielmehr in politischen Reden und Kommentaren
weiterleben bzw. im Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche Konstellationen
adaptiert werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Literatur ist von
daher nicht nur sinnvoll, sondern eigentlich längst überfällig; in
den bisher vorliegenden und eben zitierten literaturwissenschaftlichen Artikeln
ist diese Auseinandersetzung nirgends geleistet worden.
Es ist weiters zu fragen, wie denn das Faktum zu erklären wäre,
daß sich die Quantität der Hofer-Literatur zu deren Qualität
offensichtlich umgekehrt proportional verhält. Dies dürfte
hauptsächlich mit zwei Faktoren zusammenhängen; zum einen mit den
Schriftstellern, die sich um ein solches Thema kümmern, zum andern, um es
überspitzt zu sagen, mit Andreas Hofer selbst.
Zum ersten Punkt: Unter den Schriftstellern, die keine Befangenheit empfinden,
wenn sie den Hofer-Mythos auf- bzw. umbauen, indem sie diesen Mythos jeweils i h
r e n gesellschaftspolitischen Intentionen entsprechend neu mobilisieren-von
Benitius Mayr und Johann Caspar v. Wörndle über Ferdinand v. Seals bis
Georg Fraser und Günther Nenning- unter allen diesen Schriftstellern ist
kaum einer, der sich einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte hätte
sichern können. Man begegnet vielmehr fast durchwegs zweit- bis
drittklassigen Autoren, um es vorsichtig euphemistisch auszudrücken, oder
auch Werken, die ihren Verfassern alles andere als Ruhm eingetragen haben; in
diesem Zusammenhang wären beispielweise die Hofer-Dramen von Karl Immermann
und Berthold Auerbach 9 zu erwähnen.
Zum zweiten Punkt: Der Stoff, die Geschichte Andreas Hofers, widersetzt sich von
allem Anfang an gerade jenem Texttypus, der seine Bearbeiter in erster Linie
fasziniert, dem Heldenlob. Es ist ganz bezeichnend, wie etwa Ludwig Börne
seine ausführliche Besprechung des "Trauerspiels in Tirol" von
Immermann eröffnet:
"Als ich das Buch aufblätterte, hineinsah und den Vizekönig von
Italien gewahrte, den Herzog von Danzig, den Andreas Hofer, den Speckbacher, den
Pater Haspinger, den Priester Daney-gute alte Bekannte-, da dachte ich gleich:
nie endet das glücklich, es müßte denn ein Wunder geschehen.'' l0
Börne konstatiert, neben einer Reihe von Details, die ihm in diesem
Trauerspiel mißfallen, zwei prinzipielle Schwierigkeiten, die seiner
Ansicht nach der Stoff vorgibt und die ihm deshalb unlösbar erscheinen.
Hofer ist für Börne alles andere als ein Held, ein Führer der
Tiroler: "Nein, sie wurden aufgezogen, und da gingen sie einen Tag und
blieben am Abende stehen, weil man sie nicht von neuem aufgezogen.'' 11
Börne ist überzeugt (und die Historiker bestätigen es ihm),
daß Hofer weder den hier zitierten Uhrschlüssel noch die
Fähigkeit besaß, die europäischen, insbesondere die
habsburgischen Großmachtinteressen zu durchschauen, deren Opfer er
schließlich werden sollte. Ebensowenig wie Hofer aber ist auch das Tiroler
Volk geeignet, im Mittelpunkt einer Tragödie aufzutreten. Wieder Börne:
"Wohl gibt es nichts, das erhabener und schöner wäre, als der
Kampf eines Volkes für sein Vaterland. Aber der Kampf, daß er
schön sei, muß einer sein für Land und Freiheit.'' l2 Die Tiroler
haben diesen Kampf, meint Börne, nicht nur vorzeitig aufgegeben, sie haben
sogar übersehen, daß sie von den Habsburgern lediglich als
Spielbälle betrachtet wurden: "Die Tiroler waren nicht bloß
schwach, sie waren auch dumm. Schwach und dumm zugleich.- Das ist zu viel!
Über solche Menschen kann man nur die Achseln zucken, um sie weinen kann man
nicht. Die Tiroler gehören in Venturinis Chronik des neunzehnten
Jahrhunderts, nicht in die Chronik des menschlichen Herzens-sie gehören in
keine Tragödie.'' l3
Man muß hier einfach einflechten, daß Börne mit dieser
Einschätzung des sogenannten Tiroler Freiheitskampfes schon zu seiner Zeit
durchaus nicht alleinsteht. Die "Andreas Hofer"-Erzählung aus dem
"Rheinländischen Hausfreund" stellt den Tirolern und deren
Anführern keineswegs ein besseres Zeugnis aus. In der von Hebel gern und
mustergültig praktizierten zeitraffenden Erzähltechnik wird der Kampf
der Tiroler dort vielmehr so beurteilt: "Als im letzten Krieg die Franzosen
und Osterreicher in der Nachbarschaft von Tirol alle Hände voll miteinander
zu tun hatten, dachten die Tiroler: Im Trüben ist gut fischen. Sie wollten
nimmer bayerisch sein. Viel Köpfe, viel Sinne, manchmal gar keiner. Sie
wußten zolletzt selber nimmer recht, was sie wollten.'' l4 Hebel faßt
anschließend die kriegerischen Aktivitäten der Tiroler kurz zusammen,
wobei er vor allem die verübten Grausamkeiten und die am Ende erreichten
Zerstörungen hervorhebt, und er skizziert das Leben Hofers, indem er ihn
gleich weitläufig als Kommandanten wie als Viehhändler figurieren
läßt, der "durch seine Hartnäckigkeit gegen alle Einladungen
zum Frieden und durch seine Treulosigkeit" mehr Unglück angerichtet als
gewonnen hat l5. Für Hebel ergibt sich aus all dem endlich der
Kalender-Lehrsatz: "Vorgetan und nachbedacht, hat manchen in groß Leid
gebracht.''
Börne knüpft also mit seinem Urteil über die Tiroler und Andreas
Hofer an eine bereits festgeschriebene kritische Traditionslinie an. In seinem
Bemühen, das Mythen-Rankenwerk des Immermannsehen Schauspiels zu
zerreißen, erhält er darüberhinaus zusätzliche
Unterstützung durch August Wilhelm Schlegel. Dieser veröffentlicht 1832
unter dem Titel "Die Tiroler'' l7 eine "Tragische Scene", die nur
als Parodie auf die vorliegenden 1809-Dithyramben adäquat verstanden werden
kann.
Die Szene beginnt mit dem folgenden Dialog:
Tiroler: Sag', Weib! hast bei dem fremden Herrn geschlafen?
Tirolerin: Ach ja! Mit Wehmuth muß ich dir's gestehn.
Tiroler: Erst machten die Franzosen mich zum Sclaven, Zum Hahnrei nun: es ist nicht auszustehn!
Tirolerin: Du darfst mich, lieber Mann,
so hart nicht strafen; Es ist vieleicht kein dutzend Mal geschehn.
Den Tiroler zeichnet freilich, um nocheinmal mit Hebel zu reden,
"Hartnäckigkeit gegen alle Einladungen zum Frieden" aus. Und so
wendet er sich denn auch an seine Waffengefährten, die sich unterdessen im
Hintergrund versammelt haben:
Tiroler: Auf, Brüder, auf! die Freiheit zu erkämpfen, Und der
Franzosen Buhlerschaft zu dämpfen. Nun blaset! Entflammt den
kriegerischen Zorn! An Hörnern fehlt's nicht: jeder trägt sein
Horn.
Schlegels Parodie ist gewiß kein poetisches Meisterstück, aber
immerhin neben Börnes Polemik gegen Immermann ein historisches Dokument, das
zeigt, daß man im deutschsprachigen Raum schon bald nach 1809 die ersten
Legendenbildungen um die Tiroler Insurgenten, für die auch einzelne
Romantiker und Dichter der Befreiungskriege eingetreten sind, heftig attackiert
hat. Allerdings erfolglos: Das Hofer-Drama Immermanns war zwar ein Fiasko, der
Autor führte diesen Durchfall jedoch ausschließlich zurück auf
die "Insolenz", die Unverschämtheit der deutschen Bühne l3,
und viele Autoren sollten später seinem Beispiel folgen.
Es ist nicht verwunderlich, daß gerade die Versuche, den Stoff zu
dramatisieren, in der Regel scheitern. Denn die meisten Dramatiker des 19.
Jahrhunderts bemühen sich, im Gefolge von Hegels "Ästhetik",
in der epigonalen Nachahmung klassischer Dramenkonzeptionen, jeweils um die
Zeichnung eines individuellen, vielschichtigen und doch in sich konsistenten
Charakters l9. In diesem Sinne aber eignet sich Andreas Hofer nicht als
dramatische Figur. So notiert Friedrich Hebbel, der sich ebenfalls mit dem Stoff
beschäftigt, daß dieser eine der Tragödie widerstrebende Anlage
präsentiere; in einer Rezension über das Hofer-Trauerspiel von Wilhelm
Gärtner meint Hebbel (1849), das Drama behandle zwar "einen
rührenden, ja vielleicht den rührendsten Moment der neueren
Geschichte", nicht aber "einen erhebenden", denn der Aufstand der
Tiroler werde "durch nichts Höheres verklärt-! "aesthetisch,
wie moralisch, ganz einerlei." Und vor allem fehle es "an einem
Helden", der im Mittelpunkt der Handlung stehen muß und "die
übrigen mit agirenden Personen in gehörig abgestuften Gruppen um sich
her versammelt" 20.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zerbröckelt
allmählich das Idealbild des totalen Charakters in der Literatur (soweit sie
nicht zur Trivialität neigt). Unter solchen Vorzeichen eignet sich Andreas
Hofer schon eher als literarische Figur.-Im 20. Jahrhundert schließlich
gilt das Heldenlob als eine der untauglichsten, der häßlichsten, der
verwerflichsten Textsorten überhaupt. Daß ,Führer'-Figuren in der
Dichtung "unter allen Umständen zu rühmen" seien, diese
Forderung erscheint ernstzunehmenden Schriftstellern, um Hans Magnus Enzensberger
zu zitieren, höchstens gelegentlich als "Alptraum" 2l. Eine heroisierende
Darstellung des Sandwirts ist weniger denn je denkbar; aus jeder anderen
Perspektive könnte indessen eine literarische Auseinandersetzung mit Andreas
Hofer und mit den Ereignissen von 1809/10 auch weiterhin gewiß manches
entdecken, was mehr oder weniger offiziöse Darstellungen längst
zugedeckt haben.
Nach diesen zuletzt eher grundsätzlichen, wenn auch bloß
stichwortartigen Bemerkungen zum Thema möchte ich im folgenden versuchen,
etwas ausführlicher drei Werke zu besprechen, die den Hofer-Stoff dramatisch
aufarbeiten und dabei verschiedene Verfahrensweisen, Wertvorstellungen und Ideen
offenbaren. Es handelt sich um Stücke von Domanig, Kranewitter sowie
Schönherr; durchwegs Tiroler Dramen also.
Die Beschränkung auf diese Stücke ist zu begründen: Alle drei
entstanden in der gleichen historischen Epoche, gegen Ende des ersten
Jahrhunderts nach 1809, als in Tirol durch gravierende wirtschaftliche und
soziale Veränderungen, durch die letzten Ausläufer des Kulturkampfes
sowie durch die ständigen Spannungen zwischen dem konservativen und dem
nationalen Lager eine explosive politische Atmosphäre herrschte;
während Alt-Tirol in dieser Situation die Werte der Vergangenheit zu retten
suchte, wandte Jung-Tirol sich gegen alles, was mit dem U1tramontanismus
irgendwie verquickt sein mochte. Beide Lager ließen dabei nichts
unversucht, Andreas Hofer für sich zu reklamieren, obwohl weite Kreise der
Bevölkerung allen Bestrebungen, Hofer zu glorifizieren, offensichtlich recht
skeptisch gegenüberstanden-worüber z.B. Ludwig Steub 22 oder Oswald
Menghin 23 berichtet haben. Über die Hofer-Dramen von Domanig und
Kranewitter entzündete sich schließlich eine Diskussion, die den
Rahmen eines Literaturstreits völlig sprengte und die auch außerhalb
des Landes verfolgt und sogar weitergeführt wurde. So äußerte
sich Peter Rosegger 24 begeistert über das Stück Domanigs, Hermann Bahr
dagegen 25 fand, Kranewitter hätte mit seinem "Andre Hofer" ein
geradezu richtungweisendes "vaterländisches Schauspiel" vorgelegt;
der Literarhistoriker Wilhelm Kosch entschied, die Werke beider Autoren
wären mit den übrigen Hofer-Dramen nicht zu vergleichen, und er meinte
(schon 1916), es "dürfte weder das eine noch das andere in seiner Art
von spätem Versuchen zu übertreffen sein" 26. Schönherrs
erstes Bühnenwerk hingegen, "Der Judas von Tirol", war ein
eklatanter Mißerfolg und wurde nach seiner Uraufführung kaum
besprochen, nicht einmal verrissen 27.-Die Bewertungskriterien und die Urteile
über die hier behandelten Autoren haben sich bekanntlich im Lauf der Zeit
gewandelt. Schon von daher mag es interessant sein, diese Werke wieder einmal zu
studieren. Dazu kommt noch, daß diese Werke, anders als die übrigen
Hofer-Dramen (um die es immer still geblieben oder stiller geworden ist), eine
wechselvolle Rezeptionsgeschichte erfahren haben (und aller Voraussicht nach
weiter erfahren werden); denn das Thema Andreas Hofer wirkt seit langem nur in
Tirol noch einigermaßen reizvoll und Tiroler Bühnen haben
bodenständige Theaterstücke vor ausländischen Produktionen in der
Regel allemal bevorzugt.
Der aus Sterzing stammende Schriftsteller und Numismatiker Karl Domanig
(1851-1913) hatte unter anderem schon 21 Mitglieder des habsburgischen
Kaiserhauses in Kunst- und Literaturgeschichte unterrichtet, als er die Trilogie
"Der Tyroler Freiheitskampf" in Angriff nahm 29. 1895 erschienen:
"Braut des Vaterlandes", ein Vorspiel, dann als erster Teil
"Speckbacher, der Mann von Rinn" und als zweiter Teil "Josef
Straub, der Kronenwirth von Hall"; 1897 folgten "Andreas Hofer, der
Sandwirth" als dritter Teil sowie ein Nachspiel "Andreas Hofer's
Denkmal" 30. Eine zweite, "durchaus verbesserte Auflage" (wenn man
dem Autor Glauben schenken will) kam 1909 in der Kösel'schen Verlagshandlung
3l heraus.
Das Konzept Domanigs verrät die Absicht, den gesamten tirolischen
Freiheitskampf auf der Bühne darzustellen, wie Homer den trojanischen
Heldenkampf geschildert hat: durch Hervorhebung bezeichnender Einzelepisoden 32.
Das Muster des klassischen Dramas wiederum schimmert in der Komposition und in
der Sprachgestaltung durch; die drei Hauptteile enthalten je fünf
Aufzüge, die Figuren konversieren zumeist in Prosa, sie bewältigen aber
ebenso den Blankvers. Nicht zuletzt geht es um eine Erneuerung des alten
Volksschauspiels. Anläufe zu seiner Wiederbelebung durch Adaptierung des
Andreas Hofer-Stoffes werden in Tirol im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts
verschiedentlich unternommen; etwa durch die Passionsbühnen in Brixlegg und
in Vorderthiersee, vor allem aber in Meran, unter der Leitung Carl Wolfs 33.
Über den Adressatenkreis, den diese Trilogie erreichen will, und über
ihre didaktischen Zielvorstellungen informiert das Motto:
Was bleibend diese Bilder mahnen, Es ist, Tyroler, euch nicht neu: Seid, was ihr
sollt, würdig der Ahnen, In Fromm- und Freisinn stark und treu!
Domanig wendet sich also in erster Linie an seine Landsleute, mit dem Vorsatz,
diesen nichts anderes als einen Wiederholungskurs in Heimatgeschichte anzubieten.
Gelegentlich eingestreute Anmerkungen 34 unterstreichen, daß die Trilogie
weniger als fiktionaler Text, sondern mehr als quasi-historische Arbeit zu
verstehen wäre. Darüberhinaus will sie allerdings dem Publikum auch
jene Normen und Wertvorstellungen vor Augen führen, auf die sich angeblich
die Kämpfer von 1809 berufen haben und die (jedenfalls aus der Sicht des
Autors) unvergänglich gelten.
Höchst selten werden Aktionen unmittelbar gezeigt, höchst weitschweifig
aber werden Aktionen hier besprochen, geplant oder im nachhinein kommentiert. So
liefert diese Trilogie, wie Rudolf Brix bemerkt hat, "eine Aneinanderreihung
langweiliger Geschehnisse, Episoden und Anekdötchen, und was das Schlimmste
ist, endloser Sophistereien über die simpelsten Dinge. Und all' dieses Zeug
steht ohne den dünnsten Faden eines Kausalzusammenhanges da und ist so
lebensarm wie ein Weg über ödes Steingerölle." 35 Zwei
Handlungsstränge durchziehen das gesamte Werk: die Geschichte des
Freiheitskampfes als Kollektivstrang und als Privatstrang die Geschichte der
Tochter des Talerwirts von Schwaz.
Aus der Verknüpfung dieser beiden Stränge ergibt sich die erste
Verhaltensvorschrift, die das Werk vermittelt. Persönliche Bedürfnisse
und Neigungen sind in jedem Fall zu unterdrücken, wenn öffentliche
Interessen das verlangen. Rosa, die Tochter des Talerwirts, die sich
unglücklicherweise ausgerechnet in einen Leutnant der bayerischen Garnison
verliebt hat, zögert keine Sekunde, diesen zu erschießen, wie sie
entdeckt, daß er den Aufstand der Tiroler im letzten Augenblick vereiteln
könnte. Es versteht sich, daß sie durch höhere Fügung
für ihre Tat belohnt wird und später den besonnensten Parteigänger
Andreas Hofers, den Studenten Pichler heiratet, der seinerseits für sein
Verhalten ebenso entschädigt und zum k.k. Major befördert wird.
Die zweite Verhaltensvorschrift, mit der ersten unlösbar verbunden, lautet:
das Leben hinzunehmen, wie es von Gott bestimmt ist, konkret, gegen ein
vorgegebenes ,Schicksal' nie und nirgends anzukämpfen. Über Raffl
beispielsweise ist von allem Anfang an der Stab gebrochen; er schlägt
nämlich, so heißt es, seinem Vater nach. Statt einer Wirtstochter
gewinnt der Verräter Hofers ,nur' eine Kellnerin zur Frau. Und am Ende des
Nachspiels, vor Hofers Denkmal in der Innsbrucker Franziskanerkirche, teilt ein
Bürger, "seinem Begleiter Weihwasser bietend", diesem und den
Zuschauern sogar noch mit, daß Raffl in München hingerichtet worden
sei, weil er offenbar seine Lebensgefährtin ermordet hat. Allerdings
trägt auch Hofer, ebenso wie Raffl, letztlich nicht die Verantwortung
für seine Unternehmungen. "Es hat Alles so kommen müssen",
erkennt er gegen Ende seines Lebens, "wie's kommen ist, und wird wieder so
kommen. Alles, wie Gott will!" 36 Die Alliteration aus dem eingangs
zitierten Motto ("Fromm- und Freisinn") wird durch den Handlungsablauf
denunziert.
Aus den vorigen Andeutungen über Hofers Weltkenntnis und
Geschichtsverständnis läßt sich die dritte und letzte
Verhaltensvorschrift schon zusammenreimen. Es gilt, der Identifikationsfigur
Andreas Hofer nachzufolgen. Das bedeutet: die Leitbegriffe des Kommandanten
("brav" und "unschuldig") ernst zu nehmen, alle
Verhaltensformen einfachen Grundkategorien wie "Pflicht" oder
"Sünde" zuzuordnen, dem Gespür zu gehorchen, den
Intellektuellen aber zu mißtrauen; und das heißt auch, der Frau und
den Kindern gegenüber autoritär, den Feinden gegenüber tapfer,
aber immer zugleich höflich aufzutreten. Wenn die Waffen schweigen,
lädt Hofer auch einmal französische Offiziere zum Essen ein, und er
zwingt sie höchstens, vor der Mahlzeit ein "Vater unser"
mitzubeten.
Mindestens in einem Punkt wirkt die Trilogie Domanigs alles andere als
antiquiert. Dort nämlich, wo es um die Selbsteinschätzung des Tirolers
geht. Domanig veranschaulicht und begründet diese Selbsteinschätzung,
indem er in einem wohl beispiellosen Kunstgriff die Charakterisierung des
Tirolers französischen Aristokraten und Offizieren überläßt.
Diese Okkupanten haben, bevor sie ins Land gekommen sind, die Tiroler als
"Straßenräuber" 37 angesehen; unerwartet begegnen sie dann
einem "guten, grundehrlichen Volke" 38, es erweist sich als
"tapfer", "gescheit", "gutmütig auch und edel"
39. Und es bildet eine einzigartige Einheit; wer die genannten Eigenschaften
nicht besitzt (wie Raffl), ist aus der Perspektive der Franzosen, aber
selbstverständlich auch aus der Perspektive der gesamten Trilogie, kein
"Tyroler" 40. Zusammenfassend: Die Vorstellung einer pluralistischen
Gesellschaft in Tirol wirkt auf Domanig, einen der prominentesten
Repräsentanten Alt-Tirols, wie eine grauenerregende Vision; sie wird daher
verdrängt.
Als bedeutendster Gegenspieler Domanigs trat der Wortführer Jung-Tirols
Franz Kranewitter (1860-1938) auf. Sein Schauspiel "Andre Hofer"
erschien zunächst in der von Hugo Greinz herausgegebenen, deutschnational
orientierten Zeitschrift "Kyffhäuser" (1900/1901) in Linz 4l; in
einem Journal also, das die zuständige k.k. Staatsanwaltschaft immer
aufmerksam gelesen und nicht selten beschlagnahmt hat.
Anders als Domanig zeigt Kranewitter ausschließlich die Mißerfolge
und das Ende des Andreas Hofer. Von seinem Aufstieg, von seinen Triumphen ist
hier keine Rede mehr. Die Personen der Handlungen sehen sich allerdings wiederum
auf Schauplätze verwiesen, wo sie nicht agieren, sondern nur diskutieren
können; das Geschehen spielt in Wirtsstuben bzw. (am Ende wird der Raum noch
enger, bedrohlicher) im Inneren der Pfandler Alphütte.
Kranewitter folgt in den Grundzügen des dramatischen Entwurfes den
historischen Quellen und er verzichtet auf jede Szene, die einer Restauration des
konservativen Hofer-Mythos dienen könnte. Seine Konzeption verdeutlicht
vielmehr, daß das dargestellte geschichtliche Ereignis sich gegen jede
verklärende Stilisierung sträubt und daß der Sturz des
Titelhelden alles andere als eine schicksalhafte Fügung ist: Dieser Sturz
wird im wesentlichen durch zwei Faktoren ausgelöst. Zum einen durch eine
Politik, deren Interessen Hofer nicht genug versteht, der er aber ausgeliefert
ist; die Politik des österreichischen Intendanten und des Kapuziners
Haspinger. Zum anderen durch den Umstand, daß Hofer sich einen
Führungsanspruch anmaßt, der in diesem Schauspiel als unberechtigt und
politisch untragbar erscheint. Der traditionelle Hofer-Mythos wird damit
zerschlagen, er wird allerdings am Schluß ersetzt durch eine neue
Legendenbildung, indem Hofer im letzten Aufzug als "Märtyrer des
Gewissens" gezeichnet wird. Das Drama schließt also im Hinblick auf
die Charakterisierung des Titelhelden mit einem merkwürdigen
Kompromiß, versöhnlich. Wohl wird auch Andreas Hofer (vor allem dessen
soziales Verhalten) dem kritischen Urteil des Zuschauers ausgeliefert, mehr noch
aber sein wichtigster Antagonist, der im Drama überhaupt nicht auftritt. Die
letzten Worte Hofers lauten nämlich: "Mein Vaterland Tirol, zum
letztenmal! Vivat, vivat hoch!" 42; und Kranewitters Hofer verschweigt damit
jenen Satz, den die "klerikalen" Darstellungen immer als letzten
Ausspruch Andreas Hofers überliefert haben: "Hoch lebe Kaiser
Franz!" 43
In der Kritik des Hauses Habsburg knüpft Kranewitters "Andre
Hofer" an seine unmittelbar vorher erschienene "Michel
Gaißmayr" -Tragödie 44 an. Während die Trilogie Domanigs
nahezu pausenlos die Formel "Für Gott, Kaiser und Vaterland"
strapaziert und konsequent mit der Kaiserhymne schließt, läßt
das Drama Kranewitters, in Übereinstimmung mit den Quellen-um eine
zeitgenössische Besprechung, aus der Wiener "ArbeiterZeitung", zu
zitieren - "den steifen schwarz-gelben Hofer, diese wächserne
Heldenphysiognomie, wie man sie in Lesebüchern und auf Pfeifenköpfen
gemalt findet" 45, nicht mehr gelten.
Karl Schönherr (1867-1943) stand dem Kreis um Jung-Tirol nahe, arbeitete
aber meistens in Wien und hielt sich aus dem provinziellen Gezanke lieber heraus.
Sein Volksschauspiel in drei Akten "Der Judas von Tirol" wurde erstmals
1897 im Theater an der Wien aufgeführt, erlebte jedoch nur drei
Vorstellungen und blieb zunächst ungedruckt. Mitte der zwanziger Jahre schuf
Schönherr eine neue, tatsächlich wesentlich veränderte Fassung 46,
die 1927 vom Kölner Schauspielhaus herausgebracht und dann oft nachgespielt
wurde; das Stück zählt seither zu den erfolgreichsten Bühnenwerken
des Autors.
In diesem Schauspiel ist von Andreas Hofer zwar ständig die Rede, er selbst
tritt aber nur in einer kleinen Episode im Schlußtableau auf. Im
Mittelpunkt der Handlung und des Interesses steht der Verräter Raffl;
Schönherr geht es dabei um die Darstellung der psychischen Entwicklung eines
Außenseiters (unter gesellschaftlichen Bedingungen, die jede Sozialisation
eines Einzelgängers sabotieren), nicht aber um vordergründige
historische Authentizität.
Das Stück spielt in Tirol Anfang des Jahres 1810. Anläßlich der
Vorbereitungen zu einem Passionsspiel erfährt der junge Knecht Rafft der in
diesem Spiel als Christus-Darsteller mitwirken möchte, daß die
Hauptrolle seit eh und je einem gutsituierten Bauernsohn zusteht; ihm aber
fällt die Rolle des Judas zu. So entspricht die Stellung im Spiel (auf einer
ersten Ebene) seiner Stellung innerhalb der sozialen Hierarchie. Nach nutzlosen
Protesten und langem Zögern übernimmt Raffl die ihm zugewiesene Rolle,
und ein verwickeltes Verwirrspiel beginnt. Es genügt nicht, daß Raffl
im Spiel den eigenen Mantel trägt, nach der Anweisung des Spielmeisters
muß er auch in die Haut des Judas hineinschlüpfen 47 und sich mit
dieser Figur glaubwürdig identifizieren.
Raffl, im Gegensatz zu allen anderen mitagierenden Personen ein
überdurchschnittlicher Bibelexperte und Schauspieler, zeigt sich in
kürzester Zeit, wie in einer Regiebemerkung notiert wird, "beinahe
unheimlich zum Vorteil seiner Rolle verändert" 49. Je mehr er in die
imaginäre Welt vordringt, desto mehr wird er allerdings von ihr gefesselt;
indem er die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion hin-und-her-überquert,
verliert er sein Selbstbewußtsein.
Die übrigen Figuren beobachten diese Entwicklung und treiben sie weiter. Auf
der Suche nach den Ursachen der immer deutlicher sichtbar werdenden
Parallelität zwischen Judas und Raffl verweisen sie schließlich auf
dessen Herkunft: sie liegt im dunkeln, was heißt, daß der
zunächst im Spiel, später wirklich Ausgestoßene, daß Raffl
nicht mehr als Einheimischer akzeptiert wird. Weil es scheint, daß er ein
Zigeuner- oder gar Franzosen-Abkömmling sein könnte, ziehen sich alle
Mitspieler vor ihm zurück. So wird Raffle Außenseiterrolle (auf einer
zweiten Ebene) durch nationale Kriterien endgültig verankert.
Aus dem Spiel, das mit ihm gespielt wird, kann Raffl sich nur dadurch befreien,
daß er das Spiel selbst in die Hand nimmt und steuert. Obwohl er sich
ständig dagegen zur Wehr setzt, wird er von seiner Umgebung, von den Bauern
vor allem und von der Tochter des Kreuzwirts, die seine Liebe zurückweist,
gezwungen, seine Rolle zu Ende zu spielen. Indem er Andreas Hofer verrät,
zerreißt er die Stricke, die aufgrund sozialer sowie nationaler Vorurteile
geknüpft worden sind und die ihn einschnüren; dadurch erweist er sich
endlich in moralischer Hinsicht als Außenseiter, so schwarz also, wie ihn
die Überlieferung darstellt.
Schönherr läßt das gewohnte Standbild Andreas Hofers in diesem
Volksschauspiel völlig unberührt. Hofer wird weder gerühmt noch
attackiert. Aber ähnlich wie Kranewitter demonstriert auch Schönherr,
daß die im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte Mythisierung der
Ereignisse von 1809/ 10 (in der doppelten Bedeutung des Wortes) fragwürdig
ist. Während Kranewitter polemisch besonders auf die Machinationen des
Hauses Habsburg hinweist, registriert Schönherr in Tirol selbst Denk- und
Verhaltensmuster, die moralisch nicht weniger verwerflich erscheinen als die Tat
Raffls.
Es dürfte heute schwerfallen, dem Vorschlag Eduard Castles zu folgen 49 und
die hier behandelten Dramen noch immer gleich nebeneinander gelten zu lassen.
Unter ästhetischen Gesichtspunkten (die in diesem Referat ganz am Rande
geblieben sind) muß man wohl festhalten, was schon Rudolf Brix angemerkt
hat, daß die beiden zuletzt besprochenen Werke von Dramatikern stammen, das
erste Drama dagegen "Domanig geschrieben hat" 50. Darüberhinaus
aber ist zusammenfassend folgendes zu konstatieren: Domanig geht es um eine
Rekonstruktion der geschichtlichen Vorgänge aus der Sicht Alt-Tirols.
Kranewitter unternimmt eine Gegendarstellung aus der Sicht Jung-Tirols.
Schönherr schließlich kümmert sich weder um das eine noch um das
andere; aber die Mythisierung des Tiroler Heldenzeitalters durch die
Nachgeborenen bekämpft er am schärfsten.
Es wäre gewiß aufschlußreich, die Rezeption dieser Dramen in
Tirol genau zu verfolgen; hier in diesem Rahmen müssen einige Andeutungen
ausreichen.
Schönherrs "Judas von Tirol" wurde zunächst einmal-einer
alten Gewohnheit entsprechend, die in der Provinz häufig funktionierte, wenn
es galt, auf unbequeme Literatur eine Antwort zu finden-die längste Zeit
überhaupt ignoriert. 1910 beispielsweise, anläßlich der
Uraufführung von "Glaube und Heimat", schrieb Karl Rock im
"Brenner", der Titel dieser Tragödie hätte zuallererst die
Erwartung geweckt, "endlich auch von Schönherr ein Drama über das
Neunerjahr" zu erlebend Gemeint war ein ganz anderes Drama als der
"Judas von Tirol"; und Schönherr sollte später, mitten im
Ersten Weltkrieg, dem Bedürfnis nach einem "deutschen Heldenlied"
52 tatsächlich nachkommen: 1916 erschien "Volk in Not".
Kranewitters "Andre Hofer" wurde zum ersten Mal im Hoftheater von
Meiningen 1902 aufgeführt; die in Wien vorbereitete Premiere fand
zunächst nicht die Zustimmung der Zensur 53. Erst nach einer Reihe von
Protestaktionen, nachdem sich zahlreiche Schriftsteller, Reichsratsabgeordnete
und Zeitungen für Kranewitter eingesetzt hatten, kamen einige Vorstellungen
im Deutschen Volkstheater, ebenfalls noch 1902, zustande. Die 1903 angesetzte
Erstaufführung in Innsbruck aber erregte einen Skandal; seit Dezennien-so
erinnerten sich damals die "Innsbrucker Nachrichten"-hatte man im
Tiroler Theaterbetrieb eine ähnliche Auseinandersetzung nicht erlebt 54. Vor
ausverkauftem Haus gab es einerseits immer wieder Pfuirufe und Störaktionen
durch Signalpfeifen, anderseits "frenetischen, dem Dichter und den
Darstellern gespendeten Beifall" 55. Das deutschnationale Lager sorgte
für den Applaus, das christlichsoziale Lager für das Pfeifkonzert. Weil
die Statthalterei "Zusammenstöße und sohin Störung der
öffentlichen Ruhe und Ordnung und Gefährdung der Sicherheit des
Theater-Publikums in bedeutenderem Maße" befürchtete, wurde eine
Wiederholung der Vorstellung schließlich untersagt; genehmigt wurde nur
mehr eine Sondervorstellung vor geladenen Gästen, den Honoratioren der Stadt
und der Universität 56.
Domanigs Trilogie "Der Tyroler Freiheitskampf-' fand außerhalb der
Grenzen Tirols kein Interesse; selbst ein für patriotische Jambendramatik
empfängliches Publikum wie jenes im Kaiserjubiläums-Theater konnte
offenbar mit Domanigs "Andreas Hofer" nichts Rechtes anfangend In
Innsbruck allerdings wurde die gesamte Trilogie 1909 in außerordentlich
luxuriöser Ausstattung inszeniert. Staat und Land öffneten nämlich
aus diesem Anlaß, so berichtete damals "Der Föhn", geradezu
"schleußenartig ihre Portemonzies" 53.
Zur hundertsten Wiederkehr von Hofers Todestag aber mußte im Innsbrucker
Stadttheater eine Operette gegeben werden 59. Anhänger Kranewitters hatten
mit Krawallen gedroht, als der Plan angekündigt worden war, wieder einmal
Domanigs "Hofer" zu produzieren.
Der Andreas Hofer-Mythos blüht, zumindest in Festtagereden und Leitartikeln,
noch immer. Ein Schriftsteller, der sich trotzdem nicht davon abhalten
läßt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, dürfte, sofern
er nicht den Spuren Domanigs folgt, nur zwei Wege vorfinden. Beide sind weniger
frequentiert. Über weite Strecken verlaufen sie parallel. Der eine
führt zur Zertrümmerung des Mythos: durch Satire, Parodie oder
Travestie. Der andere führt zur Wiederentdeckung der Quellen: durch
pedantisches Aufzählen der Fakten. Zeitgenössische Autoren wählen
in der Regel den ersten Weg; Franz Tumler hat für den zweiten optiert: in
seinem Buch "Das Land Südtirol". Dort erzählt Tumler, das
Verfahren des Erzählprozesses dauernd reflektierend, auch von den
Unsicherheiten und Konflikten, die den Schriftsteller bedrängen, wenn er
eine Charakterisierung Andreas Hofers versucht, ohne sich durch das verfestigte
Geschichtsbild irritieren zu lassen. Er konzentriert sich auf belegbare Daten und
Fakten. "Aber der Held", bemerkt Tumler, "wird mir dabei zur
hilflosesten und ärmsten Figur" 60.
l Vgl. E. F r e n z e I, Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon
dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, 3. Aufl., Stuttgart 1970.
(Kröners Taschenausgabe, Bd. 300), S. 320-322.
2 Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres. Hrsg. von Robert F.
A r n o l d und K. Wagner, Wien 1909. (Schriften des Literarischen Vereins in
Wien, XI).
3 A. Dörrer, Andreas Hofer auf der Bühne, Brixen 1912.
4 W. Kosch, Andreas Hofer im Leben und in der Dichtung, M. Gladbach 1916.
(Führer des Volkes, 17).
5 E. C a s t I e. Andreas Hofer bei neueren Tiroler Dramatikern (Domanig,
Kranewitter, Schönherr), in: Österreichische Rundschau I (1934/35), S.
474- 480.
6 Vgl. "erziehung heute" und "sturzflüge"; besonders
hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf J. Feichtinger, Die Tiroler Erhebung
1809 in der Literatur, in: "distel« 1983, H. 4, S. 35-41.
7 J. Feichtinger (Hrsg.), Tirol 1809 in der Literatur. Eine Textsammlung, Bozen
1984. (Literarische Zeugnisse aus Tirol, Band 4).
8 Immermann schrieb 1826 »Das Trauerspiel in Tirol-; der stark
veränderten Fassung von 1833 gab er den Titel "Andreas Hofer, der
Sandwirt von Passeier". Vgl. dazu B. v. Wiese, Karl Immermann. Sein Werk und
sein Leben, Bad Homburg v. d. H.-Berlin-Zürich 1969, bes. S. 68-70.
9 B. A u e r b a c h, Andree Hofer. Geschichtliches Trauerspiel in fünf
Aufzügen, Leipzig 1850.
l0 L. Börne, Das Trauerspiel in Tirol". Ein dramatisches Gedicht von
Immermann, in: Börnes Werke in zwei Bänden. 1. Bd., Berlin und Weimar
1976. (Bibliothek Deutscher Klassiker), S. 27-47, Zit. S. 27.
11 Ebd. S. 30.
12 Ebd. S. 28.
13 Ebd. S. 30
14 J. P. Hebel, Andreas Hofer, in: Hebels Werke in einem Band, Berlin und Weimar
1969. (Bibliothek Deutscher Klassiker), S. 208-211, Zit. S. 208. Ebd. S. 210
16 Ebd. S. 211.
17 A. W. v. Schlegel, Sämmtliche Werke. Hrsg. von E. Böcking. 2. Band,
Leipzig 1846, S. 365-367.
18 Immermann in einem Brief an Michael Beer vom 16. 4. 1829, in: Karl Leberecht
Immermann, Briefe, 1. Band: 1804-1831, München-Wien 1978. (K. L. I., Briefe.
Textkritische und kommentierte Ausgabe in drei Bänden, hrsg. von P.
Hasubek), S. 728.
19 Vgl. dazu W. Mittenzwei, Begriff und Wesen der dramatischen Figur, in:
Beiträge zur Poetik des Dramas, hrsg. von W. Keller, Darmstadt 1976, S. 194-
210; sowie im selben Sammelband den Aufsatz von M. K e s t i n g, Der Abbau der
Persönlichkeit. Zur Theorie der Figur im modernen Drama, S. 211-235.
20 F. Hebbel, Vermischte Schriften III (1843-1851) und Kritische Arbeiten II,
Berlin 1903. (F. H., Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg.
von R. M. W e r n e r, Band 11), S. 277-282.
21 H. M. Enzensberger, Einzelheiten, Frankfurt a. M. 1962, S. 335.
22 Vgl. L. Steub, Drei Sommer in Tirol, 2. Band, 4. Aufl., München 1899, S.
280f.
23 Vgl. O. Menghin, Andreas Hofer im volkstümlichen Liede, in: Anno Neun,
Volkslieder und Flugschriften, Brixen o. J. (Bücherei des
Österreichischen Volksschriftenvereins, Band V), S. 5-62.
24 Vgl. A. D ö r r e r (Anm. 3), S. 10.-Dörrer stand i. ü. auf
Domanigs Seite; siehe dazu auch A. D ö r r e r, Karl Domanig. Ein Beitrag
zur Erkenntnis seiner Dichterpersönlichkeit-und die tyrolische Literatur ab
1800, 3. Aufl., Kempten und München 1914.
25 Vgl. H. Bahr, Andre Hofer, in: H. B., Premieren. Winter 1900 bis Sommer 1901,
München 1902, S. 270-275.
26 W K o s c h (Anm. 4), S. 36.
27 Vgl. K. S c h ö n h e r r, Bühnenwerke II -Briefe, Dokumentation,
hrsg. von F. H a d a m o w s k y, Wien 1974. (K. Sch., Gesamtausgabe), S. 12-18.
28 Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht bezeichnend, daß der
Österreichische Bundesverlag in einer Werbeaussendung, in der G. Nennings
"Andre Hofer 1984 angekündigt wird, ausdrücklich darauf hinweist,
dieses Buch wende sich "nicht nur" an Tiroler. Vgl. ÖBV, Katalog
"Frühjahr 84", S. 2.
29 Vgl. G. Pfaundler, Tirol-Lexikon, Innsbruck 1983, S. 54.
30 Alle Teile erschienen im Innsbrucker Verlag der Wagnerschen
Universitäts-Buchhandlung.
31 K. Domanig, Der Tyroler Freiheitskampf. Dramatische Trilogie mit einem Vor-
und einem Nachspiele, Kempten und München 1909.-Im folgenden wird nach
dieser zweiten Auflage zitiert.
32 Vgl. A. Dörrer (Anm. 3), S. 50.
33 Vgl. ebda. S. 40-45.
34 Vgl. K. Domanig (Anm. 31), z.B. S. 379 und 416.
35 R. B r i x, Domtonige Trilogie im Exl-Theater, in: Der Föhn I. (1909/
10), S 93-96. Zit. S. 94. 3f; K. Domanig (Anm. 31), S. 438.
37 Ebd. S. 381.
38 Ebd. S. 383.
39 Ebd. S. 454.
40 Ebd. S. 447.
41 In: Der Kyffhäuser II. (1900/1901), S. 394 398, 413 416, 429-433,
451-453.- Im folgenden wird das Stück zitiert nach Franz Kranewitter,
Gesammelte Werke, hrsg. von der Adolf-Pichler-Gemeinde in Innsbruck,
Graz-Wien-Leipzig-Berlin 1933.
42 F. K r a n e w i t t e r, Gesammelte Werke, S. 284.
43 Vgl. C. Stampfer, Sandwirth Andreas Hofer, 2. Aufl., Freiburg i. Br. 1891, S.
206.-Zu diesen "klerikalen Quellen", denen Kranewitter in einzelnen
Grundzügen des dramatischen Entwurfes folgt, zählt neben Stampfers
Darstellung auch das Manuskript des "Andreas Hofer"-Dramas von Benitius
Mayr (das etwa um 1814 entstanden ist). Stampfer war Benediktiner von Marienberg
und Gymnasialprofessor in Meran, Mayr war Servitenpater und Professor der
Philosophie und Ästhetik in Innsbruck; erst 1858 wurden Auszüge aus
seinem Manuskript- der Autor blieb ungenannt-in einer Zeitschrift vorgestellt,
und zwar in: Echo von den Alpen II. (1858), Nr. 7-11.
44 F. K r a n e w i t t e r, Michel Gaißmayr. Tragödie in fünf
Aufzügen aus dem Tiroler Bauernkriege von 1525, Berlin 1899.
45 Arbeiter-Zeitung 9.10.1902.
46 Diese Fassung wird auch im folgenden besprochen; zit. nach: K. Schönherr,
Bühnenwerke, hrsg. von V. K. Chiavacci, Wien 1967. (K. Sch., Gesamtausgabe),
S. 679-718.
47 Ebd. S. 688.
48 Ebd. S. 694
49 Vg. E. C a s t I e. Andreas Hofer bei neueren Tiroler Dramatikern (Domanig,
Kranewitter, Schönherr), in: Österreichische Rundschau I (1934/ 35), S.
480.
50 Vgl. R. B r i x (Anm. 35), S. 96. Brix bezieht sich hier freilich nur auf die
Tragödien von Kranewitter und Domanig, wenn er feststellt, "daß
die eine ein Dichter und die andere Domanig geschrieben hat."-Brix
gehörte wie Kranewitter dem Herausgeberteam der Zeitschrift "Der
Föhn" an und bezog schon von daher einen parteilichen Standpunkt.
51 K. Rock, Zu Schönherr's neuer Tragödie, in: Der Brenner I., 1910/11,
H. 14, S. 377-388. Zit. S. 377.
52 K. Schönherr, Volk in Not. Ein deutsches Heldenlied, in: K. Sch.,
Bühnenwerke (Anm. 46), S. 283-327.
51 Zur Uraufführung vgl. Tiroler Tagblatt 11.2.1902 sowie 20.2.1902 (mit
zahlreichen Pressestimmen). Zur Wiener Aufführung vgl. Deutsches Volksblatt
(Wien) 6.10.1902, Wiener Abendpost 6.10.1902, Die Zeit 7.10.1902, Ostdeutsche
Rundschau 7.10.1902, Arbeiter-Zeitung 9.10.1902, Allgemeine Zeitung
(München) 7.10.1902, Grazer Tagblatt 9.10.1902 u.a.
54 Innsbrucker Nachrichten 4.12.1903.
55 Ebd.-Vgl. A. Renk, Noch einmal Kranewitters Ändre Hofer", in:
Ostdeutsche Rundschau 8.12.1903.
56 Vgl. Innsbrucker Nachrichten und Tiroler Tagblatt 9.12.1903 sowie Innsbrucker
Nachrichten 15.12.1903.
57 Vgl. den "Wiener Brief', in: Neue Tiroler Stimmen 23.5.1903.
58 R B r i x (Anm. 35), S. 93.
59 Vgl. A. Dörrer (Anm. 3), S. 87.
60 F. Tumler, Das Land Südtirol. Menschen-Landschaft-Geschichte,
München 1971, S. 108.
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